Liebe Schwestern und Brüder im Bistum Aachen,
am 25. September haben die deutschen Bischöfe während ihrer Herbstvollversammlung in Fulda die sogenannte MHG-Studie zum sexuellen Missbrauch in der Katholischen Kirche veröffentlicht und in den folgenden Tagen intensiv beraten. Ebenfalls am 25. September fand in Aachen eine Pressekonferenz statt, in der Generalvikar Dr. Andreas Frick die Studie vorstellte und ihre Ergebnisse im Blick auf unser Bistum konkretisierte. Die Studie ist in ihrem Gesamttext und in einer Zusammenfassung online über die Homepage der Bischofskonferenz verfügbar.
Als erstes Ergebnis ihrer Beratungen hat die Deutsche Bischofskonferenz eine Erklärung veröffentlicht, die wichtige Schritte für das weitere Vorgehen benennt. Auch diese Erklärung ist dort zu sehen. Wie viele Andere stehe auch ich noch immer unter der Wucht der verdichtet vorgetragenen Ergebnisse und leide mit Ihnen an den beschämenden Gewissheiten über das, was in vielen Jahren in unserer Kirche geschehen ist. Der Ernst der Stunde verlangt es, weitere Konsequenzen folgen zu lassen. Zunächst muss ich aber in sehr ernüchternder Weise bekennen: ein einfacher Befreiungsschlag ist nicht möglich! Dies gilt vor allem für die Betroffenen: Was ihnen als Minderjährigen durch sexuellen Missbrauch von kirchlichen Amtsträgern angetan wurde, wirkt in ihrem ganzen Leben nach. Ihr Leid ist unermesslich und unabschließbar. Ich vermute, dass auch die Veröffentlichung der Studie und die anschließenden öffentlichen Diskussionen den Schmerz in Vielen von ihnen wieder aufrufen und sie erneut mit dem konfrontieren, was ihnen angetan wurde. Ich möchte den Betroffenen, die sich bisher dazu noch nicht in der Lage gefühlt haben, Mut machen, sich zu öffnen und den sexuellen Missbrauch zu melden, den sie erlitten haben. Zusätzlich zu den diözesanen Ansprechpersonen können dazu auch externe Anlaufstellen für Fragen des sexuellen Missbrauchs aufgesucht werden. Zu den wichtigsten Ergebnissen der Studie zählt für mich, dass das Problem nicht nur ein Versagen der Beschuldigten darstellt, sondern auch systemische Zusammenhänge aufweist, die tief in das kirchliche Leben hineinragen. Es gibt nicht nur Täter, die schwere Verbrechen begangen haben und schuldig wurden, sondern es gibt auch Vorgesetzte und andere Personen im Umfeld der Taten und deren kirchliche Selbstverständnisse und übliche Vorgehensweisen, die zur Verharmlosung der Verbrechen führten, die Täter schützten und so weitere Verbrechen möglich machten. Mit all dem wurde sehr häufig der Selbstschutz der Institution Kirche über den Schutz der Opfer gestellt, die im Stich gelassen wurden.
Es ist für mich eine sehr bittere Erkenntnis aus der Studie, dass Strukturen und Mentalitäten in unserer Kirche sexuellen Missbrauch nicht nur nicht verhindern, sondern sogar begünstigen.
Auch wir im Bistum Aachen werden uns deshalb der Herausforderung stellen, die systemischen Ursachen und Verantwortlichkeiten von sexuellem Missbrauch umfassend aufzuarbeiten und die nötigen Konsequenzen zu vollziehen. Dazu wird auch gehören, dass wir die Betroffenen selbst mit einbeziehen und die Hilfe von externen Fachleuten in Anspruch nehmen.
Wie wir das konkret angehen werden, kann ich als Ihr Bischof aber nicht alleine erkennen und beschreiben.
Darum möchte ich als einen nächsten Schritt die Ergebnisse der MHG-Studie und die Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz mit den diözesanen Gremien unseres Bistums diskutieren und das weitere Vorgehen im Bistum Aachen auch mit ihnen beraten.
Ich kann gut verstehen, dass in vielen Gläubigen, in den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unserer Gemeinden und Verbände und der vielfältigen caritativen Dienste und kirchlichen Einrichtungen durch die Ergebnisse der Studie sehr viel Bedrückung, Verunsicherung, Enttäuschung, ja Zweifel, Ärger und Wut hervorgerufen wurden. Leider kann ich diese nicht einfach auflösen.
Als Ihr Bischof möchte ich Ihnen aber versichern: Ich bin davon überzeugt, dass die Empfehlungen, die uns die Forscherinnen und Forscher in der MHG-Studie geben, und die Selbstverpflichtungen, die die Bischofskonferenz beschlossen haben, uns weiterhelfen werden:
- zum Einen dabei, dass den Opfern von sexuellem Missbrauch mehr Gerechtigkeit zuteil wird;
- zum andern dabei, dass wir auch in unserem Bistum die Prävention weiter entwickeln und die systemischen Ursachen der Begünstigung von Missbrauch erkennen und überwinden wollen.
Dabei werden wir uns auch den spezifischen Herausforderungen stellen müssen, die die Studie aufweist, nämlich den Problemen der zölibatären Lebensform der Priester und den Anfragen an die katholische Sexualmoral. All das wird jedoch nicht schnell erreichbar und abschließbar sein. Wir alle brauchen darum die Kraft der Hoffnung und der Entschiedenheit, die wir uns neu von Gott erbitten müssen. Gerne weise ich deshalb zum Abschluss auf den jährlichen Europäischen Tag des Kinderschutzes am 18. November hin. Ich bitte Sie alle, diesen Anlass zu nutzen, im Gebet Gottes Hilfe zu erbitten, entweder am Tag selbst oder im Umfeld des 18. November sowohl im persönlichen Beten als auch in unseren Gottesdiensten.
Herzlich grüße ich Sie alle und bitte darum, dass wir im Bistum Aachen beieinander bleiben und die bevorstehenden Aufgaben gemeinsam erkennen und angehen können.
Ihr Bischof
+ Helmut